Mit §188 zum Schweigen gebracht: Der Würzburger Fall und das Sonderrecht für Politiker

Der Würzburger §188-Fall zeigt: Kritik an Politikern kann drastische Folgen haben – Hausdurchsuchungen, Geldstrafen und Selbstzensur. Ein Klima der Angst gefährdet Meinungsfreiheit und demokratische Debatte in Deutschland.

64-jähriger Würzburger muss wegen Kritik an Lauterbach & Co. 3.000 € Strafe zahlen

In jüngster Vergangenheit (August 2025) verurteilte das Amtsgericht Würzburg einen 64-jährigen Bürger zu einer Geldstrafe von insgesamt 3.000 €. Der Auslöser: eine Collage auf Facebook, angelehnt an das Filmplakat Der Pate. Darauf waren neun führende Politikerinnen und Politiker – darunter Karl Lauterbach, Olaf Scholz und Annalena Baerbock – mit dem Titel „Die Lügner 2.0“ und abwertenden Eigenschaften wie „verlogen“, „korrupt“ oder „senil“ dargestellt. Karl Lauterbach stellte Strafantrag, das Gericht griff auf den Sondertatbestand des §188 StGB zurück.

Bemerkenswert ist nicht nur die Höhe der Strafe, sondern der Verlauf des Verfahrens selbst: Schon während der Ermittlungen wurde die Wohnung des Mannes durchsucht, sein Handy beschlagnahmt (bis heute hat er es anscheinend nicht wieder bekommen). Er zeigte sich kooperativ, übergab den PIN-Code und schrieb sogar einen Entschuldigungsbrief an Lauterbach. Vor allem aber: Er löschte seine Facebook-Präsenz vollständig und erklärte, sich aus sozialen Medien zurückzuziehen. Hier zeigt sich eine gefährliche Dynamik – noch bevor das Urteil gesprochen war, brachte ihn das Verfahren derart unter Druck, dass er sich selbst seiner Stimme im digitalen Raum beraubte. Ein Akt vorauseilenden Gehorsams, der belegt, wie stark die einschüchternde Wirkung solcher Verfahren bereits im Vorfeld ist.

Weitere Fälle in Franken und Unterfranken: Ein Muster von Härte

Der Würzburger Fall reiht sich in eine Serie von Verfahren allein in Franken ein, die deutlich machen, wie massiv der Staat gegen politische Kritik vorgeht.
Besonders drastisch zeigt sich dies auch bei der Causa im Landkreis Haßberge: Ein ebenfalls 64-jähriger Rentner postete auf der Plattform X (ehemals Twitter) ein Meme, in dem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck als „Schwachkopf PROFESSIONAL“ bezeichnet wurde. Trotz des vergleichsweise harmlosen, satirischen Inhalts wurde seine Wohnung durchsucht, sein Tablet beschlagnahmt und das Verfahren führte zu erheblichen rechtlichen Maßnahmen gegen ihn.
Im Landkreis Kitzingen erhielt ein Mann 1.500 € Strafe für einen Kommentar über Anton Hofreiter, eine Frau im Kreis Forchheim wurde wegen einer Äußerung über Marie-Agnes Strack-Zimmermann sogar zu einer Bewährungsstrafe verurteilt und im Landkreis Kronach musste ein Bürger 9.600 € zahlen, nachdem er Annalena Baerbock beleidigt hatte.
Allen Fällen ist gemeinsam: Sobald Politikerinnen oder Politiker betroffen sind, greift der verschärfte Ehrschutz des §188 StGB – und die Maßnahmen fallen deutlich härter aus als bei vergleichbaren Konflikten unter Privatpersonen.

(inFranken.de)

Gegenbeispiele aus der Rechtsprechung: Wenn Gerichte die Bremse ziehen

Dass es auch anders geht, zeigt ein Urteil das Bayerischen Obersten Landesgerichts. Dieses entschied am 6. März 2025, dass die Bezeichnung des Bundeskanzlers als „Volksschädling“ im Kontext einer Demonstration nicht unter § 188 fällt – maßgeblich sei, ob die Äußerung überhaupt geeignet ist, das öffentliche Wirken „erheblich zu erschweren“. Ein Sieg der Meinungsfreiheit.
Gleichzeitig verhängte das Amtsgericht Bamberg im April 2025 gegen den eher rechtsgerichteten Journalisten David Bendels eine siebenmonatige Freiheitsstrafe auf Bewährung nach § 188 Abs. 2 wegen eines manipulierten Nancy-Faeser-Bildes.

Der Kontrast ist deutlich und macht es für Bürgerinnen und Bürger schwer einzuschätzen, was sie überhaupt sagen oder schreiben dürfen, und was nicht.

Was § 188 StGB eigentlich regelt

§ 188 StGB schützt „Personen des politischen Lebens“ in besonderer Weise vor Beleidigung, übler Nachrede und Verleumdung. Seit der Reform 2021 erfasst der Paragraph nicht mehr nur falsche Tatsachenbehauptungen (Nachrede/Verleumdung), sondern ausdrücklich auch Werturteile (Beleidigungen) – mit einem erhöhten Strafrahmen gegenüber „normalen“ Beleidigungen. In der Praxis bedeutet das: Identische Wörter können je nach Adressat – Politikerin vs. Privatperson – unterschiedlich hart bestraft werden.

„ […] ist die Tat geeignet, sein öffentliches Wirken erheblich zu erschweren“ heißt es im Gesetz. Damit wird ausdrücklich der politische Schutzgedanke hervorgehoben – nicht das individuelle Persönlichkeitsrecht steht im Vordergrund, sondern die ungestörte Funktionsfähigkeit des öffentlichen Amtes. Nun stellt sich uns die Frage, inwiefern z. B. Anton Hofreiter in seinem politischen Wirken eingeschränkt wurde, wenn jemand ihn als „bärtiges Mädchen“ bezeichnet.

Meinungsfreiheit unter Druck

Aus unserer Sicht ist der § 188 hochproblematisch. Politikerinnen und Politiker sind per se keine besonders schutzbedürftige Spezies; sie sind genauso wie alle anderen vom Gesetz geschützt, wenn sie beleidigt werden.  Das ist nur recht und billig; doch braucht es dazu braucht es keine Sonderbehandlung.

Kritik an Regierenden – auch scharf, satirisch, polemisch – gehört zum Kernbestand demokratischer Kultur. Doch der Würzburger Fall zeigt auf Neue: Bürgerinnen und Bürger schalten ihre eigenen Kanäle ab, ziehen sich aus Diskussionen zurück, bevor überhaupt ein Urteil gefällt war. Das ist kein gesunder demokratischer Diskurs, sondern ein Klima der Einschüchterung.

Wenn Bürgerinnen und Bürger fürchten müssen, dass ein missliebiger Facebook-Post zu Hausdurchsuchung, Verhandlung und empfindlicher Geldstrafe führt, dann bleibt die politische Debatte nicht mehr frei. Sie wird vorgefiltert durch Angst. Das Resultat: weniger Stimmen, weniger Kritik, weniger Vielfalt an Meinungen. Demokratie aber lebt davon, dass auch unbequeme Worte gesagt werden dürfen. Genau deshalb sehen wir in §188 StGB kein Schutzgesetz, sondern ein Instrument, das die Meinungsfreiheit aushöhlt.

Weitere Quellen:

infranken.de
mainpost.de
bundestag.de
§188

Text: Rebecca Hümmer

Außerdem im BSW-Blog:

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